Biographie
Oskar Julius Weiss (1920-1987) war ein Künstler und Graphikdesigner aus Ravensburg. In dritter Generation aus einer Familie von Dekorationsmalern stammend, zeigte er schon früh Interesse am Zeichnen und Malen. Er absolvierte zunächst eine Lehre als graphischer Zeichner in der Druckerei der Ravensburger Volkszeitung und begann im Jahr 1937 ein Graphikstudium bei dem Schriftgestalter Prof. Ernst Schneidler an der Kunstgewerbeschule am Weißenhof in Stuttgart. In Schneidlers Klasse lernte er die spätere Schauspielerin und Autorin Antonia Schenk aus Graz kennen, die seine Frau und die Mutter der beiden Kinder Lucinde und Thomas werden sollte. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bedeutete nicht nur Zwangspause des Studiums, sondern auch Arbeits- und Kriegsdienst. Im Jahr 1942 verlor Weiss durch eine Kriegsverletzung sein Bein. Noch in den letzten Kriegsjahren 1943/44 nahm er sein Studium bei Professor Schneidler in Stuttgart wieder auf, nun an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. Wie erhaltene Briefwechsel dokumentieren, hielt Professor Schneidler, der privat ebenfalls malte und bei dem zuvor z.B. auch HAP Grieshaber gelernt hatte, eine enge Beziehung zu seinem Schüler Weiss und erkannte sein besonderes Talent. Erste Entdeckungen und eigene Experimente aus der Sphäre der modernen Kunst, von den Nationalsozialisten als ‚entartet‘ diffamiert und verfolgt, mussten im Geheimen unter dem Arbeitstisch oder in privaten Ateliers geteilt werden. Angezogen von dieser ‚verbotenen‘ Welt, begann Weiss neben seinem Studium bei Schneidler Privatunterricht bei der Malerin Ida Kerkovius zu nehmen, bevor ihr Atelier, das als wichtiger Treffpunkt des künstlerischen Untergrund Stuttgarts während der NS-Zeit fungierte, bei einem Bombenangriff 1944 zerstört wurde.
Der Einfluss von Kerkovius auf ihren jungen Schüler Weiss war bedeutend und wegweisend für den späteren Künstler. Kerkovius gehörte neben bekannten Namen wie Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Max Ackermann zum sogenannten Hölzel-Kreis, einer Gruppe von Schüler_innen und Anhänger_innen des in Stuttgart wirkenden Kunsttheoretikers, Pädagogen und Malers Adolf Hölzel. Bereits im Jahr 1911 sammelte Kerkovius als Assistentin von Hölzel erste Erfahrung im Unterrichten. Wie man den erhaltenen Aufzeichnungen dieser Stunden entnehmen kann, war es neben Hölzels Kompositionstheorie insbesondere seine Farbenlehre, welche besonders wichtig für die künstlerische Entwicklung von Weiss wurde. Neben dem eigentlichen Malunterricht und den Exkursen in die Kunstgeschichte waren die Gespräche über die klassische Moderne und das Bekanntmachen mit Künstler_innen und Werken der modernen Malerei für Weiss nicht weniger bereichernd. Vermutlich flossen hierbei auch Erfahrungen und Ideen ein, die Kerkovius 1920-23 als Studentin am Bauhaus (von Lehrer_innen wie Johannes Itten, Georg Muche, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Gunta Stölzl) erfahren hatte. Ähnlich augenöffnend wie die Stunden bei Kerkovius waren für Weiss die Besuche in der Privatsammlung von Hugo Borst auf der Gänsheide, wo er Werke von Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Otto Dix, Marc Chagall, Paul Klee, Paula Modersohn-Becker und Wassily Kandinsky im Original studieren konnte.
Mit Ende des Krieges kehrte Weiss in seine Heimatstadt Ravensburg zurück, mit dem Ziel als freischaffender Künstler zu arbeiten. Trotz erster Ausstellungen, wie zum Beispiel in der von ihm mitgegründeten Vereinigung Sezession Oberschwaben oder der Teilnahme an Neue deutsche Kunst 1946 in Konstanz, einer der ersten Kunstausstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, wurde Weiss doch allmählich von der harten Realität der entbehrungsreichen Nachkriegsjahre eingeholt, die wenig Möglichkeiten für junge Künstler in der Provinz bot. Im Jahr 1948 erfolgte die berufliche Neuorientierung zum Graphikdesigner. Nach ersten Aufträgen von Ravensburger Unternehmen wurde Weiss schließlich Hausgraphiker der Werbeagentur Selinka, deren Kundschaft vorwiegend im Pharmabereich angesiedelt war. Es entwickelte sich eine äußerst erfolgreiche Partnerschaft. Weiss war als kreatives Aushängeschild wesentlich für den Erfolg der Agentur mitverantwortlich und erhielt zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen für seine Arbeit.
Das künstlerische Schaffen trat mit dem Erfolg als Graphikdesigner in den Hintergrund, aufgegeben hat es Weiss jedoch nie. Das Malen blieb seine Leidenschaft und er widmete ihr seine Abende, freien Tage und beinahe jeden freien Moment, doch zeigte er seine Kunst nicht. Als “Sonntagsmaler” bezeichnete er sich selbst, wohl mit einem Augenzwinkern und etwas Schmerz zugleich. Frühere Wegbegleiter sprachen häufig von einem „Doppelleben“, das Weiss führte. Doch hatten sein Beruf als Graphikdesigner und sein Schaffen als Künstler auch in mehrerlei Hinsicht fruchtbare Wechselwirkungen: So lebte die Handschrift des Graphikdesigners auch von Künstlerqualitäten, vom Einnehmen verschiedener Perspektiven, vom Abstrahieren, vom konsequenten Zuspitzen von Fragestellungen und nicht zuletzt von seinem berüchtigten, scharfsinnigen Humor.
Insbesondere Mitte der 60er Jahre setzte eine äußerst produktive Phase ein, in dem der Künstler seine Techniken perfektionierte – im Kern waren dies Öl-, Wachs- und Pastellkreiden, daneben auch Tempera. Er entwickelte ebenso eigene Methoden durch stetiges Experimentieren, so erhitzte er beispielsweise die Wachsstifte vor dem Auftragen, was eine besondere glänzende Farbwirkung zur Folge hatte. Auch schuf Weiss ein umfangreiches Werk an Zeichnungen, meist mit Tinten-, Tusche- oder Filzstift gearbeitet, sowie Druckgraphik, vor allem aus Monographien, also originalen Einzelblättern bestehend. Ebenfalls entstand zu jener Zeit eine herausragende Reihe von Pastellmalereien, die, so beschreibt es die Kunsthistorikerin Barbara Lipps-Kant, wie weiche Bildteppiche wirken und durch ihre delikate Farbigkeit und kontrastreiche Komposition bestechen.
Seine Motive fand Weiss in der Phantasie, aber auch in seiner Umwelt. Das Traum- und Märchenhafte seiner Malerei verband ihn mit seiner Lehrerin Ida Kerkovius. Die Narrative sind stets angedeutet oder mehrdeutig, nie klar und auserzählt. Das große Thema sind Menschen, ihre Gefühlswelt und ihre Beziehung zueinander, daneben Städte, Landschaften und die gegenständliche Welt. Unwirkliche, symbolbehaftete Szenen, Akte und Figuren mit Masken, Fabelwesen und Exotismus finden sich in seinen Bildern, daneben Themen seiner Zeit wie Hippietum und Futurismus. Als konkrete Inspirationen dienten ihm jedoch auch seine Umgebung – die mittelalterliche Altstadt von Ravensburg, die weiche Landschaft Oberschwabens und die Hügel des nahe gelegenen Allgäus. Teils heiter, teils traurig ist die Stimmung, doch insgesamt ist es eine zarte und friedliche Welt, die sich in den Bildern von Weiss zeigt.
Erst im Jahr 1974 gab es die erste große Ausstellung seit der Nachkriegszeit im Privathaus des Künstlers in der Ravensburger Altstadt, umgeben von Antiquitäten und in alten Rahmen aus der eigenen umfangreichen Sammlung präsentiert. Nach dem Tod des Künstlers im Jahr 1987 folgten Ausstellungen im süddeutschen Raum, von seinem Sohn Thomas Weiss kuratiert. Seit 2013 wird der künstlerische Nachlass von Julia und Philipp Weiss, der Enkelin und dem Enkel des Künstlers, verwaltet. Die für September 2020 anlässlich des 100. Geburtstags von Oskar Julius Weiss geplante Werkschau in den Räumen der Museumsgesellschaft Ravensburg e.V. im Humpishaus in Ravensburg musste leider wegen der Corona-Pandemie verschoben werden.
Zitate
“Seine Bilder leben aus ihren leuchtenden, prächtigen Farben, deren Anordnung nicht starrer Gesetzmäßigkeit folgt, sondern aus einem sicheren Gefühl für koloristische Wirkungen und Wertigkeiten gegeben ist.“
Barbara Lipps-Kant, Laudatio, 19.01.1980, Galerie Döbele, Ravensburg
“Er ist mit seinen Formaten, seiner Technik und seiner Thematik identisch geworden. Er sieht die Welt durch einen Perlenkettenvorhang, als ein Mosaik, ein Kaleidoskop. Er gibt leuchtende Signale und dämpft sie sogleich wieder, als behielte er diese Gesten und Zeichen für sich.”
Dieter Hoffmann, Katalog: Oskar Julius Weiss, hrsg. Von Johannes Döbele, 1979, S. 40
“Das Leuchten, das von der Lauterkeit seines Wesens ausging, ist sicher unvergesslich jedem, der ihn gekannt hat. Für die anderen wird es in seinen Bildern wirksam, in die er es verwandelt hat.”
Meret Eichler, Laudatio, 25.11.1988, Galerie Hölder, Ravensburg
“[…] ein geschloßenes Oeuvre von großer malerischer Intensität und starker Aussage.”
Barbara Lipps-Kant, Laudatio, 19.01.1980, Galerie Döbele, Ravensburg